2020_Ausstellung_
Ist das noch Kunsthandwerk?
„Ist das noch Kunsthandwerk?“ fragt die aktuelle Ausstellung, die die Handwerkskammer Düsseldorf in Kooperation mit dem Bundesverband Kunsthandwerk vom 7. bis zum 26. September 2020 gezeigt hat. Die Schau präsentierte auf 800 Quadratmetern insgesamt 65 teils großformatige Arbeiten von Kunsthandwerkerinnen und Kunsthandwerkern aus ganz Deutschland – von Angewandter Kunst über freie künstlerische bis hin zu theoretischen Positionen.
"Ist das noch Kunsthandwerk?" - Blick in die Ausstellung in Düsseldorf
In einer Zeit voller Umbrüche ist auch das gestaltende Handwerk aufgefordert, künstlerische Prozesse jenseits herkömmlicher Zuschreibungen und Kategorisierungen offen zu legen. Entsprechend weit gefasst war die Ausschreibung, die dazu aufrief, sich mit den zukünftigen Inhalten und Erscheinungsformen des Kunsthandwerks auseinanderzusetzen. Die Auswahl aus mehr als 130 Einreichungen traf eine Jury mit Vertretern aus allen im Bundesverband zusammengeschlossenen Landesverbänden. Die Ergebnisse seien „mutig, überraschend, fast ein bisschen provokant – und keineswegs gefällig“, konstatiert Kammerpräsident Andreas Ehlert.
Unter dem Motto „Neues Denken. Neues Machen.“ bietet die programmatische Ausstellung Objekte und Installationen aus nahezu allen Werkbereichen wie Glas, Holz, Keramik, Metall, Papier, Schmuck, Textil. Die Annäherung erfolgt wie so oft im Kunsthandwerk über die individuelle Auslotung der Möglichkeiten des Materials, geht aber weit darüber hinaus – zwischen Funktion und Abstraktion, Entwerfen von Alltagsgegenständen und Aufgreifen von gesellschaftskritischen Fragen wie Konsumgesellschaft, Migration oder Tierwohl vollziehen sich Brüche und Kontraste. Dazu finden ungewöhnliche Werkstoffe wie Kohle, Plastik, auch Haare und Zähne (!), Verwendung. Es gibt ein textiles „Lichtkleid“ von Nilufar Badiian“ neben tragbaren Strickobjekten der finnischen Designerin Kristiina Karinen, Schmuckentwürfe von hohem Abstraktionsgrad (Susanne Waller „Insekt“) oder gar der „Natur einer anderen Welt“ nachempfunden (Jil Köhn). Sehr irdisch wiederum ist das „Arschivplakat“ von Georg Krautkrämer, welches eine Aktion zum Einsturz des Kölner Stadtarchivs dokumentiert.
Die meisten der gezeigten Objekte – und auch ihre Gestalter – lassen sich in kein Schema einordnen. So sieht sich beispielsweise Annette Lechler, die von der Bildhauerei kommt, als Grenzgängerin. Für die Ausstellung entwickelte die Schmuckdesignerin freie Strukturen („Winkelovale“), die das Spannungsverhältnis von Form, Bewegung und Körper reflektieren.
"Ist das noch Kunsthandwerk?" - Blick in die Ausstellung in Düsseldorf
Neue Techniken und Nachhaltigkeit
Bei aller aufgebotenen Bandbreite sind zwei Schwerpunktthemen zu identifizieren: Zum einen die Beschäftigung mit neuen Kommunikationsformen und Produktionstechniken – sichtbar zum Beispiel bei Petra Hilperts „Datenvolumen“, einer „Cloud“ aus verdrahteten Keramik-„Nervenzellen“. Auch Barbara Hattrup formt ein raumgreifendes, aber filigranes Objekt, das Informationssysteme versinnbildlicht („außerhalb von Kontrolle“). Ausgefeiltes technisches Können erfordern sowohl die kinetischen Ringe von Michael Berger als auch die im 3D-Druck innerhalb eines Tages produzierbaren Bewegungshocker von Thorsten Franck oder die mit LED-Technik versehenen Glaskugeln von Rike Scholle mit ihrer faszinierenden Farb-Raum-Wirkung.
Das zweite große Thema ist Nachhaltigkeit, ein unter dem Label „Upcycling“ inzwischen schon seit Jahren auszumachender Trend im Kunsthandwerk. Sehenswert: Marion Heilig aus Berlin zeigt ein Collier aus Injektionsspritzen mit Feingold („Heilung“). Auffällig auch das deckenhohe Mobile aus Filzresten von Anja Matzke, das gleichzeitig als Akustikelement dient. „Second lamp“ nennt Keramikerin Sabine Moshammer ihre Flaschenlampen „mit Geschichte“, die außerdem den reizvollen Gegensatz von industriell und Handgefertigtem vereinen.
Sabine Wilp, Präsidentin des Bundesverbands Kunsthandwerk, sieht in der gegenwärtigen „Zeit der Transformation“ übrigens eine veritable Chance für das Kunsthandwerk – indem es nach kreativen Lösungen jenseits des Massenkonsums sucht: „Kunsthandwerker*innen haben etwas zu bieten, was heute mehr denn je gebraucht wird. Sie sind vom Kern her „ecofriendly“, gehen mit vorhandenen Ressourcen bewusst um. Die Zielgröße ihrer Produktion ist eins und nicht zigtausend. Ihre Erzeugnisse sind hochwertige Kulturgüter, die auf dauerhaften Gebrauch angelegt sind.“
Zu sehen war die Ausstellung im Foyer der Handwerkskammer Düsseldorf. Ein 142-seitiger Katalog ist zur Ausstellung erschienen.